Ein Brief aus Kreta:

Wieder ist ein Seminar auf Kreta zu Ende gegangen – 10 Tage in einer engen Gemeinschaft mit vormals fast Fremden – eingebettet in diesen ganz besonderen Zauber dieses Fleckchens Erde im Südwesten der Insel.

Am Anfang beherrscht uns noch ein erschöpfter Körper und ein überfrachteter Geist; nach und nach verfallen wir dem Ur-Rhythmus dieser Insel:

dem Wind in den unzähligen Olivenbäumen, der wärmenden Sonne, dem Rauschen des Meeres, dem Gebimmel der Ziegenglocken in der Ferne, dem Krähen der Hähne am frühen Morgen – wieder ein Tag, der mit der Morgenmeditation beginnt, langsam von der  Sonne aufgewärmt wird, der in zahlreiche Begegnungen mit uns selbst und mit den anderen übergeht und sich ausdehnt in neue Eindrücke , alte (vielleicht vergessene) Empfindungen auftauchen lässt und viel Ruhe und Gelassenheit mit sich bringt.

Wir werden immer leerer, wie der Strand hier, den das Meer von den Überresten des Gestern rein gewaschen hat.
Und dann, nach ein paar Tagen, erwachen wir zu neuem Leben.

Unser Körper und unser Geist beginnen zu wandern, zu spielen, sich zu überschlagen, wie die Wellen, die auf den trägen Strand rollen. Man weiß nie, welche zufälligen Schätze die spielerischen Brecher auf den glatten, weißen Sand unseres Bewusstseins spülen werden! Was für einen vollkommen gerundeten Stein, was für eine seltene Muschel, sie vom Grund des Ozeans mitbringen.

Aber wir dürfen nicht danach graben oder suchen! Das würde unseren Zweck vereiteln: das Meer belohnt nicht diejenigen, die zu eifrig oder zu ungeduldig sind. Nach Schätzen zu graben beweist nicht nur Ungeduld, sondern auch einen Mangel an Glauben.

Geduld, Geduld, Geduld  lehrt uns das Meer und diese Tage auf Kreta:
Geduld und den Glaube daran „den äußeren und den inneren Menschen wieder eins werden zu lassen“, wie der griechische Philosoph Sokrates schon vor ca. 2500 Jahren schrieb.

Welche Schätze haben wir auf Kreta für uns entdeckt, die uns darin unterstützt haben, wieder in Einklang mit uns zu kommen?

Durch zahlreiche Erfahrungen und auch durch die Werke vieler anderer Menschen, die sich vor mir auf diese Suche begeben haben, habe ich gelernt, dass gewisse Voraussetzungen, Lebensbedingungen und Lebensweisen für die innere und äußere Harmonie zuträglicher sind als andere.

Tatsächlich gibt es bestimmte Wege, denen man folgen kann.  Einer davon ist die Vereinfachung des Lebens.

Aber das Leben, das die meisten von uns gewählt haben, zieht eine ganze Karawane von Komplikationen nach sich: es dreht sich um Beruf und Karriere, Nahrung und Behausung, um Mahlzeiten, Einkäufe, Rechnungen und ein vielfältiges Fertigwerden mit den Gegebenheiten; um Erziehung, Gesundheit und Arzttermine, Schulen und Lehrerbesuche, Fahrten zum Sportplatz und zum Musikunterricht; Kleidung, Telefonate, Freunde und die endlosen Verabredungen, bis alles klappt…

Welche akrobatischen Kunststücke müssen wir täglich vollbringen – jeder Tag ist ein Balanceakt auf dem Hochseil – alles noch im Gleichgewicht! Nur immer mit der Ruhe!

All diese Herausforderungen unseres alltäglichen Lebens führen nicht zur Sammlung, sondern zur Zersplitterung. Und ich begreife allmählich, mit einem wehmütigen Lächeln, warum „Erleuchtete“ und Heilige selten verheiratet sind, Familien haben oder alltäglichen Berufen nachgehen! Das Problem heißt nicht nur:

Ich und mein Beruf
Ich und meine Familie
Ich und meine Unabhängigkeit

Es geht viel tiefer.
Wie bleibe ich inmitten der Zerstreuungen des Lebens gesammelt? Wie halte ich das Gleichgewicht trotz der Zentrifugalkraft, die mich aus meinen Mittelpunkt zu reißen droht?

Es gibt keine einfache und endgültige Antwort – ich habe nur Anhaltspunkte. Die Zeit hier auf Kreta jedes Jahr sagt mir, dass vielleicht dies ein erster Schritt hierzu wäre: das Leben zu vereinfachen und die Zerstreuung einzuschränken. Aber wie?

Ein völliges Sich zurückziehen ist nicht möglich, ich kann meine Pflichten nicht abschütteln, ich werde nicht ständig auf dieser Insel leben – und ich will das ja auch nicht!
Ich möchte irgendwie einen Ausgleich finden oder einen Rhythmus, der zwischen diesen beiden Lebensformen abwechselt. Das Pendel sollte zwischen Einsamkeit und Gemeinsamkeit, zwischen Einkehr und Rückkehr schwingen.

Die Kunst der Vereinfachung und bewussten Einschränkung kann ein Anfang sein.

Die Frage: „ist das notwendig?“, wenn ich zuhause versucht bin, meinem Leben noch mehr aufzupacken!
Wie wenig wir alle in diesen Tagen in der Sonne gebraucht haben:

  • nicht einen Schrank voller Kleider, sondern nur einen kleinen Koffer voll
  • Zimmer ohne viel Installation, technische Errungenschaften oder aufwendig zu pflegendes Dekorationsmaterial
  • einfache, dafür aber umso schmackhaftere Mahlzeiten

Diese Auszeiten können uns zeigen, mit wie wenig wir auskommen, und welche außerordentliche geistige Freiheit und welchen Frieden ein solches Leben geben kann.
Ein zweiter Aspekt, der mich hier auf Kreta jedes Mal wieder berührt: Wie wunderbar sind Inseln!

Inseln im Unendlichen – wie diese hier: von Wasser umschlossen, ohne verbindende Brücken – weg vom betriebsamen Festland.
Vergangenheit und Zukunft scheinen hier abgeschnitten: nur die Gegenwart bleibt. Das Dasein im Hier und Jetzt verleiht dem Inselleben äußerste Intensität und Klarheit, und erst in dieser wird mir immer wieder deutlich: nicht die einsame Insel, sondern die Wüste in unserer Seele, trennt uns ab von denen, die wir lieben.

Bin ich mir selbst fremd, bin ich auch anderen entfremdet. Ohne Zugang zum eigenen Ich kann ich auch keinen Zugang zu anderen finden.
Nur durch die Verbundenheit mit meinem eigenen Wesenskern bin ich mit anderen verbunden.

Alleinsein – sagt die Insel.

Jeder Mensch sollte einmal im Jahr, einmal in der Woche, einmal am Tag allein sein – Zeit mit sich verbringen und Kontakt zum eigenen Wesenskern knüpfen.
Die Vereinfachung des äußeren Lebens und regelmäßige Zeiten der Ruhe um unseren „inneren Krug“ wieder bis zum Rand aufzufüllen sind keine Lösungen, sondern Techniken oder Wege.
Wege zu dem Ziel, eine ruhende Achse zu werden im Rad unserer Beziehungen, Verpflichtungen und Tätigkeiten.

In all meinen Seminaren und meiner Arbeit ist es mein tiefstes Anliegen, solche „Techniken“ erfahrbar zu machen, damit wir sie in unser alltägliches Leben zurückbringen können.

Wem dieser „Newsletter“ ein bisschen zu lange ausgefallen ist, den bitte ich um Nachsicht! Ich schreibe diese Zeilen noch in den letzten beiden Urlaubstagen auf Kreta, erfüllt von dem Vielen, was mir in diesen Tagen begegnet ist und meinen „inneren Krug“ tatsächlich wieder bis zum Rand aufgefüllt hat!

Und alles erinnert mich daran, wie wichtig es ist, innerhalb des Getriebes unserer Pflichten so ruhig zu bleiben, wie die Nabe eines Rades.

Damit unsere Mitte intakt bleibt, unser Wesenskern – eben das „Insel“- hafte in uns.

Herzlichst,
aus der Sonne,

Brigitte

Kreta 2016

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