Ein Brief aus Kreta

FÜR UNSERE VORBILDER UND ERSTEN LIEBEN – UNSERE WUNDERBAR UNVOLLENDETEN MÜTTER UND VÄTER. IHRE WEISHEIT, UND DIE IHRER VORFAHREN, WAREN UNS IN DIESEN TAGEN STETS GEGENWÄRTIG.

Es sind genau diese Kreta-Sonnen-Tage, an denen wir ans Meer gelockt werden, um den Sommer zu genießen.
Doch die Gruppe von Menschen, die am späten Nachmittag langsam im Seminarzentrum an der Südwestküste Kretas eintrudelt, ist aus einem anderen Grund gekommen – ohne Strandstuhl und Sonnenschirm.

Raus aus dem Alltag, weg von Vertrautem und Vertrauten, neugierig und offen für neue Erfahrungen und auf der Suche nach der ursprünglichen Person, die sie einmal waren. Lange bevor sie sich über den Wunsch nach Zugehörigkeit zu ihrem Familiensystem, über Anpassung und Leistung, verloren haben.

Für alle lautet das erste Gebot für die kommenden Tage, diese verschütteten Teile ihres Selbst, wieder auszugraben.
Wir entdecken in uns Qualitäten wieder neu, wie: Verspieltheit, Kreativität, Sorglosigkeit, sich „in der eigenen Haut wohl fühlen“ und vor allem unsere eigenen Sinne und unsere Intuition.

Wie bei einem Puzzle suchen wir nach der Möglichkeit, in uns wieder ein „Ganzes“ entstehen zu lassen.

Ich glaube, es war Picasso, der einmal sagte, er habe die erste Hälfte seines Lebens damit verbracht, erwachsen zu werden und in der zweiten mühsam gelernt, wieder ein Kind zu sein.

Zu Beginn der Tage des Seminars haben wir oft einfach still dagesessen und gelauscht – in Stille – und mit der Zeit kamen dann auch langsam Antworten.
Gute Dinge geschehen eher von alleine.
Die Zeit hier zeigt uns, dass uns alles zu dem dafür richtigen Zeitpunkt zufällt – Dinge zu erzwingen geht gegen die Elemente und Gezeiten!

Tritt Veränderung erst ein, wenn wir aufhören, das von uns erwartete Leben zu führen?
Wenn wir uns nicht so sehr darum bemühen, dass sich unser Leben nach unseren festgefahrenen Vorstellungen entwickelt?

Zu oft verschwenden wir wertvolle Zeit darauf, uns auf Erlebnisse vorzubereiten, statt sie einfach nur zu genießen.
Es fällt uns schwer, uns ganz dem Augenblick zu überlassen – allein das Wort überlassen ruft in uns ein Gefühl von Aufgeben und Angst hervor.
Nicht leicht für den zwanghaften „Powerplayer“ in uns!

Vielleicht haben wir uns nur deshalb so sehr daran geklammert, die Kontrolle über unser Leben zu halten, weil wir befürchteten, dass ansonsten unser ganzes Familiensystem (Herkunft oder Gegenwart) auseinanderbrechen würde?
Wir fanden es gut, stark und belastbar zu sein – bewundernswerte Eigenschaften, die dennoch zu unserem Verhängnis wurden! Denn mit der Kontrolle ist eine Last verbunden: derjenige, der kontrolliert, hat die meiste Arbeit!
Eigentlich ist es eine Erleichterung zuzulassen, die Kontrolle zu verlieren – es war so anstrengend, ein ganzes Leben alles richtig machen zu wollen und ein „braves Kind“ zu sein.

Ganz langsam lernen wir das zu genießen, was über die Insel-Tage zu uns kommen will.
Wir lernen leicht, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben, statt dauernd nach mehr oder anderem zu verlangen.
Übersteigerte Erwartungen trüben die Freude an dem, was ist.

Erst am Morgen das angesetzte Seminarprogramm auf der Tafel vor dem Seminarraum zu lesen, hielt uns nicht von einem spontanen gemeinsamen Ausflug an den Strand ab.
Wir sind nur wacher, flexibler und kreativer, nehmen nicht alles als selbstverständlich und „deeeeehnen“ uns in das, was möglich ist.
So sollten wir immer unseren Tag beginnen!

Während wir uns hier heilen und wiederbeleben, halten wir unsere neugewonnene Freiheit in der einen und Schuldgefühle in der anderen Hand.

Wir sind frei unsere Entscheidungen zu treffen und ebenso frei, die Konsequenzen zu tragen.

Diese Erkenntnis erlaubt es uns, einen Teil unseres wahren Selbst wieder hervorzuheben und mit ihm in Frieden zu kommen.

Die Erlaubnis, auch ganz anders zu sein, als es in unserem Familiensystem üblich war, müssen wir uns jetzt selbst geben.
Die Schuldgefühle, die übrig bleiben, bedürfen noch ein Weilchen unserer Fürsorge – und das Verständnis dafür, wodurch sie in uns entstanden sind und so groß werden konnten.

Dieses Konzept ist für viele gänzlich neu: wir müssen selbst die Verantwortung für unsere Freude übernehmen.
Was im Übrigen keinesfalls im Widerspruch dazu steht, auch andere zu erfreuen – das wurde in der Gemeinschaft untereinander heilsam spürbar.
Wir waren uns selbst selten so nahe – echte Freunde zu werden mit dem Kind, dem wir in uns begegneten, das war der nächste Schritt!

Hier auf Kreta haben wir die Schachtel, auf deren Deckel „Kindheit in der Familie“ steht, geöffnet, und haben den Versuch unternommen, uns selbst in unserem Ursprung wieder zu entdecken.
Fasziniert haben wir die Metamorphose betrachtet vom sorglosen, herumtollenden und neugierigen Kind zur jugendlichen Persönlichkeit, die vorgibt, eine zu sein.
Wir haben uns angepasst und überlebt, indem wir zu dem wurden, was die Menschen in unserer Umgebung sehen wollten.
Unser wahres Selbst blieb mit dauerhaften Narben am Selbstvertrauen dabei auf der Strecke.

Das Wichtigste: das Kind bei der Hand zu nehmen und seiner Entschlossenheit und Hartnäckigkeit erst einmal Anerkennung zu zollen!

Aber ab jetzt: kein Herumschleichen mehr auf Nebenwegen unseres Bewusstseins – nur um den eigentlichen Fragen auszuweichen, in der Hoffnung, sie würden einfach verschwinden.

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an den „Katzen-Spirit“ dieser Insel, der uns auch in diesem Jahr aufs Beste im Prozess inspiriert und unterstützt hat!
DANKE an die Katzenmama, die uns bereits am 2. Tag ihre beiden Katzenbabies auf die Seminarterrasse brachte und uns in der restlichen Zeit des Seminars, in und um den Seminarraum begleitet hat.
Alle drei waren mittendrin und immer dabei, während wir getanzt, meditiert, geredet, gelacht und geweint haben!
Von Pina, der bezaubernden Katzenmama, durften wir lernen, was es bedeutet, entschieden und dennoch gelassen, Kriegerin für die eigene Herzenssache zu sein.
Ihre beiden Katzenbabies zeigten uns, dass Vorsicht und Vertrauen durchaus nebeneinander einhergehen können, und ebenso, dass Verspieltheit, Neugierde und Lebenslust kein Widerspruch sind zu Unabhängigkeit und Authentizität.
Diese Katzenfamilie hat uns beim Träumen und in den Meditationen unterstützt – vielleicht weil Tiere ohnehin vor den Menschen erschaffen wurden und von daher näher an der Quelle des Seins sind als wir?
Auf jeden Fall waren sie uns auf unserer Suche nach Ganzheit Verbündete und Führer, und immer ein Grund zur Freude! Was für ein großes Geschenk!

Wunderbar waren auch die neuen „Familien“, die in dieser Zeit gewachsen sind und uns auf gute Weise lehrten, wofür Familie eigentlich steht.
Hier konnten wir lang verschüttete Anteile in uns wiederentdecken und ein Stück zurück ins Leben bringen.
Viele von uns hätten gerne, dass andere manche Entscheidung für uns treffen, „aber der/die Held/in trifft, wenn er/sie an einem Kreuzweg steht, die eigene Entscheidung – der/die Antiheld/in überlässt sie anderen“

Diese Familien werden die Seminarzeit sicherlich überdauern!

Um uns und unsere Sinne lebendig zu halten, müssen wir sie benutzen.

So haben wir in diesem Seminar gemeinsam:

  • auf einer Düne das Wunder eines Sonnenuntergangs betrachtet: der Übergang in die Nacht hat den Himmel golden, rosa, orange und purpur bemalt, bevor er zu einem melancholischen Blau verblasste, das immer mehr in Dämmerungstönen versank
  • den erneuten Sonnenaufgang oben auf dem Berg in Stille wieder begrüßt
  • Ausflüge in die Umgebung mit Boot und zu Fuß gemacht und dabei die Einfachheit einer Mahlzeit nach einer Anstrengung schätzen gelernt
  • Morgens mit Kaffee und Frühstück unter den Olivenbäumen unseres Essplatzes gesessen und abends gemeinsam am Meeresufer ein Glas Wein genossen
  • unsere Träume in die Hand genommen und sind mit ihnen im Meer geschwommen und haben uns treiben lassen
  • das Erlebte in unsere selbst konstruierten Webrahmen eingewebt – mit allen Höhen und Tiefen, die aus dem Überwinden unserer Lebensfäden erwuchsen. Wir sind trotz unserer Widerstände drangeblieben und haben am Ende gestaunt über die Schönheit jedes „Lebensteppichs“
  • draußen lebend erkannt, dass wir mehr dem Rhythmus der Natur folgen sollten, die sich jeden Tag neu und nach ihren Gesetzen, entfaltet

Vielleicht beginnt wirkliches Wachsen auch erst, nachdem wir alle Dinge getan haben, die von uns erwartet wurden – Beruf, Familie gründen, Kinder großziehen, ein Heim einrichten…
Zumindest sind wir endlich erwachsen genug, um uns selbst wieder zu entdecken – die Person, die wir von an Geburt aus sein wollten.

Am Ende besteht der Wunsch und der Entschluss, nicht zu dem zurück zu kehren, was wir zuhause und in unserem Alltag waren, sondern das Unbekannte dessen in uns willkommen zu heißen, wie wir „gedacht“ waren.
Unsere eigenen Sinne und Empfindungen sollten unseren weiteren Lebensweg bestimmen.

Dafür haben wir uns in diesen Tagen „leer“ gemacht:
im Herzen (und am Strand) sind wir jetzt barfuß unterwegs!

„ES GIBT GEZEITEN AUCH FÜR UNSER TUN,
NIMMT MAN DIE FLUT WAHR, FÜHRET SIE ZUM GLÜCK;
VERSÄUMT MAN SIE, SO MUSS DIE GANZE REISE
DES LEBENS SICH DURCH NOT UND KLIPPEN WINDEN.
WIR SIND NUR FLOTT AUF SOLCH HOHER SEE,
UND MÜSSEN, WENN DER STROM UNS HEBT, IHN NUTZEN,
WO NICHT, GEHT UNSER SCHIFF UND GUT VERLOREN.“

Wiliam Shakespeare „Julius Caesar“

Herzlichst,
Brigitte

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