Ein Brief aus Kreta:

Eines Tages erreichen wir unser ZIEL – und weisen
nunmehr mit Stolz darauf hin, was für lange
Reisen wir dazu gemacht haben. In Wahrheit
merkten wir nicht, dass wir reisten. Wir kamen
aber dadurch so weit, dass wir an jeder Stelle wähnten,
ZU HAUSE zu sein.

F. Nietzsche

Der Sommer ist vorbei – hier auf Kreta lässt sich sein Ende noch ein Weilchen rausschieben.
Nicht nur für die Erholung ist ein Urlaub gut – auch um mal wieder mit etwas Abstand auf unseren Alltag und die daraus resultierenden Lebensgewohnheiten zu schauen, sie neu zu überprüfen.

Das haben wir auch im diesjährigen Kreta-Seminar getan – mit etwas Abstand auf uns, und im besonderen, auf unsere Beziehung geschaut.

Bestand und Dauer – das ist es doch, was wir uns von einer Partnerschaft, insbesondere von einer Ehe erwarten. Bedeutet nicht die Ehe auch gleichzeitig die Fortdauer unserer Beziehung?
Fortdauer ja – aber nicht natürlicherweise in einer bestimmten Form oder einem bestimmten Zustand!

Hier im Seminarzentrum im Südwesten Kretas und am Strand von Paleochoras entledigen wir uns langsam aller überflüssigen Dinge – vielleicht können wir uns auch in jedem neuen Lebensabschnitt der Dinge entledigen, die überflüssig geworden sind:

  • unserer Masken
  • unseres Stolzes
  • unserer Kampfausrüstung

Haben wir uns diese Rüstung nicht angelegt, um uns für den Überlebenskampf zu wappnen?
Wenn wir aber nicht mehr kämpfen wollen, wofür brauchen wir sie dann noch? Vielleicht können wir wenigstens in den reiferen Jahren – wenn nicht schon früher – ganz wir selber sein?

Wie befreiend das wäre!

Aber was erwartet uns in dieser neuen Art von Freiheit, in der wir uns entfalten können? Und ist innerhalb dieser neuen Freiheit noch Raum für eine zwischenmenschliche Partnerschaft?
Vielleicht gelingt es uns erst jetzt, die beste aller menschlichen Beziehungen zu finden:

  • keine begrenzte, ausschließliche Zweisamkeit, wie in der Anfangsphase erster Verliebtheit
  • keine zweckorientierte, abhängige, wie in Zeiten von Elternschaft und beruflicher Karriere

sondern die Begegnung zweier in sich ruhender Menschen – zweier Persönlichkeiten. Eine Beziehung, die von Mensch zu Mensch gemeint ist – und in der Raum für Freiheit und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bleibt.

Diese neue Beziehung kommt nicht mühelos. Ein solches Stadium kann meines Erachtens im Leben nur Teil eines Entwicklungsprozesses sein. Eine Folge wesentlicher Entwicklungen der einzelnen Partner – sie ist kein Geschenk oder glücklicher Zufall! Wir sollten lernen, unabhängig zu werden und dürfen nicht glauben, wir müssten unsere Kraft im Wettstreit mit dem anderen erproben. Noch immer pendeln wir in Partnerschaften zwischen Abhängigkeit und Wettstreit, aber diese Extreme bringen uns aus der Balance.

Unser Zentrum, den innersten Kern, müssen wir allein finden:

  • Zurückfinden zur Kunst der Selbstbetrachtung und – Reflektion; vernachlässigte Seiten unserer Persönlichkeit in einem aktiven, extrovertierten Leben
  • Bewusstheit entwickeln ,für die Eigenschaften unseres Herzens, unserer Seele und unseres Geistes, eben das „Ganze“ in uns, das wir vor lauter Hetze in unserem Leben nie voll entwickelten.

Sicher, mit der Entfaltung kommt die Differenzierung und auch die Trennung – wie bei einem Baumstamm, der sich teilt, wenn er wächst und sich in Ästen, Zweigen und Blättern ausbreitet. Aber der Baum bleibt immer noch eine Einheit – und seine verschiedenen Teile existieren neben- und miteinander!

Um es mit Rilke zu sagen:

„…das Bewusstsein vorausgesetzt, dass auch zwischen den nächsten Menschen unendliche Fernen bestehen bleiben, kann ihnen ein wundervolles Nebeneinanderwohnen erwachsen, wenn es ihnen gelingt, die Weite zwischen sich zu lieben, die ihnen die Möglichkeit gibt, einander immer in ganzer Gestalt und vor einem großen Himmel zu sehen!“

Das ist ein schönes Bild!
Das „wahre Leben“ unserer Gefühle und Beziehungen ist unbeständig und geht oft verschiedenen Wege. Wenn man jemand liebt, so liebt man ihn nicht die ganze Zeit, Stunde um Stunde, auf die gleiche Weise.

Das ist unmöglich und wäre falsch, wollten wir diesen Eindruck erwecken.
Und doch ist es genau das, was wir in unseren Beziehungen, oft unbewusst, fordern!

Auf Kreta, in diesem „Aus-Zeit“ – Seminar am Meer stellen wir fest, wie wenig Vertrauen wir haben in die Gezeiten des Lebens, der Liebe, der Partnerschaft. Wir freuen uns über die steigende Flut und wehren uns ängstlich gegen jede Ebbe.

Wir verlangen Beständigkeit, Haltbarkeit und Fortdauer – aber die einzig mögliche Fortdauer des Lebens und der Liebe liegt in der Entwicklung, in der Freiheit des täglichen Auf und Ab. Die Stabilität einer Beziehung erwächst nicht aus der Verwaltung von Soll und Haben, aus Fordern und Erwarten, aus dem sehnsuchtsvollen Verlangen, nach dem, was einmal war, oder der Zurückweisung des Morgens, aus der Angst vor dem, was kommen könnte  –  sondern allein aus dem Bekenntnis zum Augenblick.

Und wir üben uns in diesen 10 Tagen des Seminars im Nehmen unserer Beziehung, so wie sie ist: in aller Begrenzung und wechselvoller Unbeständigkeit. Wie das ständige Steigen und Fallen der Gezeiten am Meer, das wir täglich beobachten: Ebbe und Flut … fortwährender Wechsel, Unbeständigkeit.

Unbeständigkeit ist etwas, das wir schwer lernen können.
Wie die Ebben unseres Daseins überleben? Wie können wir lernen ein Wellental zu akzeptieren?

In der Unterbrechung des alltäglichen Ablaufs unseres Lebens gelingen plötzlich Einsichten, die tiefer gehen und größer sind, als unsere eng und ängstlichen gedachten Beziehungsstrukturen. Wir finden Zeit für unsere eigenen, vernachlässigten Bedürfnisse, wir werden

„…eine Welt für uns, um des anderen willen…“ (Rilke)

Erst aus dieser größeren Ganzheit gelingt schrittweise auch ein erfülltes Nebeneinander in unserer Beziehung.

In der Gemeinschaft und im Austausch mit anderen, in der Stille und Schönheit der Natur, die uns umgibt, wird unser Leben wieder einfacher und wesentlicher. Die Seminartage sind unbelastet, nicht durch Aufgaben begrenzt und leiden nicht unter irgendeinem Druck, wie zuhause. Die Beziehungen zu anderen ersticken nicht unter Verpflichtungen. Wir bewegen uns im gleichen Rhythmus, leicht und ungezwungen.

Eine gute Beziehung ist wie ein Tanz und baut sich nach den gleichen Regeln auf!

Die Partner brauchen keinen festen, gegenseitigen Halt, denn sie bewegen sich nach der gleichen Choreographie. Zuweilen kompliziert, aber in einer unaufhörlich wechselnden wenn wir bereit sind uns darauf einzulassen. Die Freude daran besteht in der Freude des gegenseitigen Mitteilens, in der schöpferischen Freude und eben auch in der Lebensfreude des Augenblicks.

Wie also nehmen wir diesen gemeinsamen „Tanz“ mit zurück in unseren Alltag?
Was hindert uns daheim daran, in dieser Freude, diesem Einklang miteinander zu leben.

Ich glaube, es ist die Angst, die uns immer wieder am gerade vergangenen Augenblick festhalten lässt oder uns treibt, gierig nach dem nächsten zu greifen.
Diese Angst lässt sich, meiner Erfahrung nach, nur durch ihren Gegenspieler verwandeln: die Liebe.

Wenn unser Herz voll Liebe ist, ist da kein Platz für Angst, Zweifel und Unentschlossenheit. Wenn wir so vollkommen in der Liebe aufgehen, vergessen wir leichter, ob wir auch wiedergeliebt werden, lassen eher das Aufrechnen und Vergleichen!

Hier an den Stränden Kretas versteht man leichter:

die stille Stunde, in der sich das Meer zurück zieht, ist so schön, wie die Stunde seiner Wiederkehr, in der die heranrollenden Wellen über den Strand donnern.

Vielleicht ist dies die wesentlichste Erkenntnis:
dass jede Phase der Welle gültig ist  UND dass jede Phase einer Beziehung gültig ist.

Ich beschließe auch dieses Jahr meinen „Kreta-Newsletter“ mit der Einladung, gemeinsam weiter daran zu arbeiten, mehr Gelassenheit, Freude und Liebe in unser Leben bringen zu können.

Ein letzter Sommertag auf Kreta – dann geht es wieder zurück ins herbstliche Deutschland.
Ich nehme die Erinnerung an das Meer mit:

das Meer, dass ewig verebbt und flutet.

Herzlichst,

Brigitte

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